Eingabe mit Antrag an die Badische Landessynode

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Erhard Schulz – Gernot Spelsberg – Dr. Hans-Gerd Krabbe

Achern, 19. Februar 2024

An den Synodalpräsidenten der Evangelischen Landeskirche Baden 

Herrn Axel Wermke                                                                                                            

– Geschäftsstelle der Landessynode –

Postfach 2269

76010 K a r l s r u h e

Eingabe mit Antrag

Sehr geehrter Herr Synodalpräsident Wermke, verehrte Synodalinnen und Synodale,                       

mit Besorgnis sind nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der großen Kirchen in Deutschland die Ergebnisse der von der EKD in Auftrag gegebenen Mitgliedschaftsstudie aufgenommen worden.

Erstaunt und irritiert haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Landeskirchenrat die Rechtsverordnungen Nr. 21 (in Sachen Bauförderung) und Nr. 24 (in Sachen Kooperationsräume und Dienstgruppen) erlassen hat. Wir fragen nun uns selbst und Sie: Wie verhalten sich diese Rechtsverordnungen zum Erprobungsgesetz?

Damit ist ein weiterer ernster Hintergrund gesetzt, auf dem sich die Überlegungen zur grundlegenden Neustrukturierung von Kirchengemeinden, Pfarrämtern und Bezirken bewähren müssen. Wir wenden uns an Sie, die Synodalinnen und Synodale, die Sie ja nicht nur organisatorisch, sondern auch geistlich mit der Leitung unserer Kirche betraut sind. Wir meinen, dass keine der im Augenblick geplanten Maßnahmen alternativlos ist, und stellen Ihnen unsere Überlegungen, verbunden mit einem ANTRAG, vor.

Mit freundlichem Gruß!

fdR.:

c/o: Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe — 77855 Achern, Bernhard-Früh-Straße 11

Eingabe mit Antrag an die Badische Landessynode

Unsere Kirche befindet sich nicht nur in einer finanziellen und personellen Krise, sondern in einer geistlichen und theologischen Krise. Diese Eingabe versucht, über die Verwaltung des Mangels hinaus die Ursachen dieser geistlichen Krise in den Blick zu nehmen und die Gemeinden zu stärken. Es geht darum, Perspektiven zu gewinnen für geistliches Wachstum in Kirche und Gemeinden und für die geistliche Präsenz vor Ort.

I. Perspektiven geistlichen Wachstums in Kirchen und Gemeinden

  • Die Kooperation zwischen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Landeskirche und zwischen Kirchengemeinden ist unverzichtbar und daher verpflichtend. Sie erweitert den Horizont und erleichtert die Arbeit durch gemeinsame Absprache und Übertragung von Aufgaben. Die bereits bestehenden Dienstgruppen können je nach Bedarf durch weitere haupt- und neben- wie auch ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ergänzt werden. Zentrale Themen der Kooperation werden punktuelle übergemeindliche Aktivitäten sein wie Bibel- und Gemeindewochen, Evangelisationen, Kinder- und Jugendwochen, d.h. Veranstaltungen, die Menschen neu zum Glauben einladen bzw. im Glauben stärken. Hier können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Gemeinden gabenorientiert arbeiten und ihre Charismen in den jeweiligen Gemeindeverbund (Kooperationsraum) einbringen. Die Dienstgruppen arbeiten selbständig und eigenverantwortlich. Sie regeln darüber hinaus anfallende Dienste und Verantwortlichkeiten unter sich, so auch den Religionsunterricht — wobei zwei bis vier Wochenstunden in der Gemeinde der Ortspfarrerin bzw. des Ortspfarrers sinnvoll sind für gute Vertrauensbeziehungen zu künftigen Konfirmandengruppen.
  • Werbung für himmlische Berufe, fürs Theologiestudium, für den Predigt- und für den Diakonendienst, aber auch für das schöne Prädikantenamt ist Gebot der Stunde und von Kirchenleitung und Gemeinden mit oberster Priorität zu behandeln. Es geht darum, im Auftrag unseres HERRN und im Sinne seines Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg (Mt. 20,1-16) loszugehen und Arbeiterinnen und Arbeiter für seinen Weinberg zu suchen und zu finden. Auch Quereinsteiger sollen eine reelle Chance bekommen. Eine fundierte geistliche und theologische Qualifikation ist dabei Bedingung.
  • Voraussetzung für jedes Gemeindewachstum in Kirche und Gemeinde ist eine gute geistlich fundierte Kinder- und Jugendarbeit. Hier darf nicht gespart, hier muss investiert werden. Ziel ist es, dass jeder Gemeindeverbund (Kooperationsraum) Zugang zu solch einer Jugendarbeit hat. Wie das geschieht, ob örtliche Vereine (CVJM, EC, Förderverein) mit der Kirchengemeinde kooperieren und/oder durch weitere Hauptamtliche konkrete Hilfe erfahren, muss vor Ort entschieden werden. Am mangelnden Geld sollte Jugendarbeit nicht scheitern dürfen.
  • Wir sollten gegen den Trend von Mangel und Einsparungen neu den Verheißungen unseres HERRN vertrauen, dass Er Wachstum und lebendigen Glauben schenken kann und wird, sofern wir als Kirche den Missionsauftrag Jesu Christi „Gehet hin!“ ernst nehmen. Es geht darum, dass wir der Verheißung unseres HERRN trauen:

„Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15,5).

II. Perspektiven für geistliche Präsenz vor Ort

  • Das Votum mündiger Gemeinden und dementsprechend mündiger Ältester und Kirchengemeinderäte ist ernst zu nehmen. Sie formulieren, was sie als Gemeinden brauchen und was ihnen guttut. Daher ist die Erstellung von Gottesdienstplänen nach wie vor Aufgabe und Verantwortung der zuständigen Ältestenkreise bzw. Kirchengemeinderäte. Dabei ist sicherzustellen, dass in jeder Gemeinde mindestens zwei bis drei Gottesdienste im Monat (je nach Gemeindegröße und Gemeindeverbund) gefeiert werden. Darüber hinaus soll an allen hohen Feiertagen auf jeden Fall in jeder Gemeinde ein Gottesdienstangebot sein. Jedes Gemeindeglied — nicht zuletzt auch viele ältere treue Gottesdienstteilnehmerinnen und -teilnehmer, auch die nicht mehr mobil sind — hat ein Anrecht auf regelmäßige Gottesdienste in seiner Kirche. Von jeder Pfarrerin oder von jedem Pfarrer im aktiven Pfarrdienst (vielleicht von wenigen begründeten Ausnahmen abgesehen) kann die Feier von zwei Gottesdiensten an jedem Sonntag erwartet werden. In jedem Gemeindeverbund ist für die Pfarrerin bzw. für den Pfarrer die Gottesdienstfeier in zwei Gemeinden an einem Sonntag die Regel. Dem mancherorts zu beobachtenden Trend, Gottesdienste ausfallen zu lassen, können wir nur widersprechen.
  • An den bestehenden Regelungen zur Stellenbesetzung für den Pfarrdienst und für den Diakonendienst ist nichts zu ändern. Nach wie vor finden Bewerbungen und Wahlen für eine Gemeindepfarrstelle oder für einen gemeinkirchlichen Auftrag im Kirchengemeinderat statt. Alle Überlegungen, den zukünftigen Einsatz von Pfarrerinnen und Pfarrern in Dienstgruppen von Kooperationsräumen vorzunehmen, das bisher gültige und bewährte Parochialprinzip aufzulösen und damit die klare Zuordnung eines Pfarrers oder einer Pfarrerin zu einer bzw. zu mehreren Gemeinden aufzugeben, sind kontraproduktiv, denn die Gemeinde braucht personalen Bezug, feste Bezugspersonen. Andernfalls droht die Gefahr, eine noch bestehende Kirchenbindung aufzulösen oder eine denkbare neue gar nicht erst entstehen zu lassen.
  • Das Wahlrecht obliegt nach wie vor den Gemeinden, vertreten durch ihre gewählten Kirchenältesten. Wenn die Kirche diesen Grundsatz aufgibt und das Wahlrecht auf Mitglieder in den Kooperationsräumen erweitert, schwächt sie die Gemeinden und relativiert ein Grundprinzip protestantischer Kirche. Mitglieder in den Kooperationsräumen haben allenfalls ein Mitspracherecht.
  • Es kann nicht die Aufgabe von Dienstgruppen sein, die Pfarrerinnen und Pfarrer eines Kooperationsraums Sonntag für Sonntag wechselnd in andere Gemeinden zu schicken. Jede und jeder ist Pfarrerin bzw. Pfarrer in ihrer bzw. seiner Gemeinde und hier in der Regel präsent in der Feier des Gottesdienstes (die freien Wochenenden oder Urlaub abgesehen). Selbstverständlich sind gelegentlicher Predigttausch oder eine sich über ca. drei Wochen hin erstreckende Predigtreihe zu einem besonderen Thema zu begrüßen. Wenn Gemeindeglieder aber nicht mehr wissen, wer als Pfarrerin oder als Pfarrer an ihrem Ort für sie zuständig ist und an wen sie sich vertrauensvoll zu seelsorgerlichen Gesprächen wie in Freud und Leid wenden können, verstärkt das die Anonymität und die Auflösung der Kirche vor Ort. Wir müssen es so deutlich feststellen: Das wäre Totengräberdienst an der Kirche. Das würde auch zur Desorientierung der Pfarrerinnen und Pfarrer führen, für welche Gemeinden sie seelsorgerlich verantwortlich sind. Und, sehr zu beachten: Wer bewirbt sich noch für solche unüberschaubaren Pfarrdienste, wenn es denn Pfarrgemeinden bzw. Kirchengemeinden im herkömmlichen Sinn nicht mehr gibt?
  • Die jetzt vorgesehenen Fusionen sowie alle eventuell weiteren Fusionen von Kirchenbezirken sind nochmals gründlich zu überdenken, bevor hier vollendete Tatsachen geschaffen werden. Der Einspareffekt ist minimal. Immer größer werdende Dekanate und größere Entfernungen verstärken die Entfernung und Entfremdung der Kirche von den Menschen, und damit ist niemandem gedient. Die entsprechenden Ämter lassen sich umso schwerer besetzen. Je mehr die Kirche jedoch vor Ort präsent ist, gerade auch durch die Pfarrerin oder den Pfarrer, desto mehr lässt sich möglichen Kirchenaustritten vorbeugen. Mitgliedschaftsstudien der EKD belegen das seit Jahren.
  • Der Gemeindebezug der Konfirmandenarbeit darf unter keinen Umständen aufgegeben werden. Gewisse zentrale Höhepunkte der Konfirmandenzeit wie Konfi-Camps oder Konfi-Tage und andere besondere Veranstaltungen, die Konfirmandinnen und Konfirmanden Gemeinschaft in hervorragenden Events erleben lassen und auch ihren kirchlichen Horizont über die eigene Gemeinde hinaus erweitern, sind zu unterstützen. Hier können charismatisch-begabte Pfarrerinnen und Pfarrer und weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kirchenbezirk Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ortsgemeinden entlasten. Die aber für die Konfirmation zentralen Themen wie Taufe und Konfirmation, Glaube, Gemeinde und Abendmahl gehören in der eigenen Gemeinde behandelt, in denen die Konfirmandinnen und Konfirmanden eingesegnet werden. Hierbei ist der herkömmliche Unterricht vor Ort, möglichst praxisnah, unabkömmlich.  Der Mittwoch-Nachmittag darf gegenüber den Schulen nicht aufgegeben werden.
  • Das Ampelsystem ist nochmals gründlich auf den Prüfstand zu stellen. Gerade aber auch kleine Gemeinden, die oftmals besonders aktiv sind und in denen der Zusammenhalt groß ist, fallen durch die drohende rote Ampel sehr leicht aus jeder weiteren finanziellen Unterstützung seitens der Landeskirche heraus (selbst die gelbe Ampel scheint nach der Planung auf rot zu tendieren). Was hindert die Landeskirche, punktuell und flexibel nach aktuellem Bedarf in Einzelfällen zu entscheiden, was wann an Unterstützung möglich ist und was nicht? Es besteht keine Notwendigkeit, jetzt für alle Zeit apodiktisch festzulegen, wer noch mit Unterstützung rechnen kann und wer nicht. Solidarität in der Not sieht anders aus. Gemeinden, die sich nicht mehr versammeln können auch über den Gottesdienst hinaus, droht das Aussterben. Wie mit nicht-wirtschaftlichen Überkapazitäten umgegangen werden muss (Verkauf, Vermietung), das kann nur vor Ort und im Miteinander auch in der Kommune entschieden werden.

In all den Veränderungsprozessen braucht die Kirche innere Ruhe, Gelassenheit und Gottvertrauen. Keine der im Augenblick geplanten Maßnahmen ist alternativlos. In Stille und Gebet, im Miteinander-Reden und Aufeinander-Hören zwischen Gemeindegliedern und Kirchenleitung und zuallererst im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort sollen in der Bitte um den Heiligen Geist gemeinsam Alternativen gesucht, gefunden und erprobt werden – im Sinne des Wortes:

„Durch Stille-Sein und Vertrauen würdet ihr stark sein.“ (Jes. 31,15 b).

Bei allen notwendigen Kürzungsvorgaben plädieren wir (statt pauschaler 30-Prozent- Kürzungen) für Einzelfall-Entscheidungen, die sehr wohl auch ganz andere tiefgreifende Kürzungen bis hin zu Stellen-Auflösungen bedeuten können, aber nicht müssen. Es sollte möglich sein, sorgfältig abzuwägen und zu differenzieren. Dazu möchten wir ermutigen.

Unser ANTRAG lautet:

Die Landessynode wird gebeten und aufgefordert, schon erfolgte Überlegungen und Maßnahmen zur sog. Strukturreform nochmals zu überdenken und ggfs. zu revidieren bzw. neu zu beschließen — gilt doch bisher das ausgegebene Erprobungsgesetz zur Erprobung (!) neuer Verhältnisse und Bedingungen. Demnach ist also noch kein rechtskräftig festgeklopftes Gesetz erlassen.

Erhard Schulz, Pfarrer i.R., Meckesheim

Gernot Spelsberg, Pfarrer i. R., Ettlingen

Dr. Hans-Gerd Krabbe, Pfarrer i.R., Achern