Stellungnahme zum >Erprobungsgesetz Kooperationsräume<:

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Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe, Achern, zum Buß- und Bettag 2022

Miteinander zu kooperieren, wo immer möglich, ist stets gut und unbedingt zu begrüßen!

Gemeinde Jesu Christi lebt von Seinem Geist des Miteinanders, des Füreinanders. Wie im paulinischen Bildmotiv von dem einen Leib und den vielen Gliedern (in Rom. 12 und in 1. Kor. 12) angedeutet, wobei Einer allein das Haupt ist: Christus Jesus (vgl. Kol. 1,18) — so gilt dieses Modell durch die Zeiten hindurch bis heute, von der kleinen Zelle der Gemeinde (gemäß Mt. 18,20) aus angefangen bis hin zur Institution und Organisation der Kirche im Hier und Jetzt. Bau-HErr der Kirche ist Jesus Christus. Soll(te) dies nicht mehr gelten?

Von unten her, von der Basis der Gemeinden her baut sich Kirche als Organismus auf — so beschreibt es jedenfalls auch die Grundordnung (›GO‹) der Badischen Landeskirche (vgl. § 5). Nun aber ist seitens der Landeskirche per Landessynodal-Beschluss vom 30. April 2022 mit der Verpflichtung zur Kooperation in verschiedenen Rechtsformen der Prozess von Reduktion und Transformation eingeläutet, will heißen: gravierende Einsparungen von 30 % in allen Bereichen stehen bevor, was Personal (-stellen) und was die Zuweisungsmittel an die Ortsgemeinde überhaupt betrifft. Kirchengebäude, Gemeindehäuser, Pfarrhäuser kommen auf den Prüfstand. Das wird erhebliche Konsequenzen auslösen und vielleicht sogar ›ein mittleres Erdbeben‹ innerhalb der gesamten Landeskirche!

Defizite werden beklagt: das Defizit an Mitgliedern und Kirchensteuerzahlern, das Defizit an Glaubenswissen, das Defizit an gesellschaftlicher Anerkennung. Gibt man sich damit zufrieden, sich mit der Organisation des Mangels zu beschäftigen? Ja, die Relevanz von Kirche wird kritisch hinterfragt — nur: Was gegen solche Entwicklungen tun? Wie gebannt darauf starren? Die Einstellung kultivieren (?): »Wir schaffen das« schon wieder? Wenn wir nur die nötigen Ressourcen zur Verfügung hätten? Als sei Kirche: Menschenwerk?

Dagegen gefragt: Braucht es nicht einen grundlegenden Perspektivwechsel, Buße, Umkehr? Zum HErrn der Kirche, der da Christus heißt? Zum ›Eckstein›, der den Bau zusammenhält (vgl.  Eph. 2,20 / Mt. 21,42 nach Ps. 118,22)? Luther textete: »Mit uns´rer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren. Es streit´ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren« (EG 362,2): Ja, stimmt dies denn nicht? Wir sind’s doch nicht, die die Kirche bauen und erhalten (können) — ein anderer ist’s! ER muss ›uns als leeres Gefäß‹ stets von neuem füllen! »Ihn, Ihn lass tun und walten!« (EG 361,8).

Es zeigt die innere Not von Kirchen, wenn ökonomische und organisatorisch-strukturelle Antworten in den Vordergrund geraten und die Oberhand gewinnen. Wenn’s Menschen-werk richten soll.  Die Krise der Kirche ist geistlicher Art. Doch was hilft wirklich? Es braucht geistliche Antworten, geistliche Offensiven, geistliche Aufbrüche, geistliches Wachstum! Geistliche! Nach biblischer Botschaft fragen, ja verlangen die Menschens-kinder doch auch heutzutage, gerade auch in diesen Zeiten voller Konflikte, Krisen, Kriege!

Es ist doch so: Nötig, not-wendig ist ein erwartungsvolles Gottvertrauen, eine Inspiration durch den Heiligen Geist, inständiges Gebet, auf dass GOTT durch den Heiligen Geist wirkt und wirbelt, Seine Gemeinde »versammelt, schützt und erhält« (vgl. Heidelberger Katechismus, 54) . Und dass Menschen sich von GOTT in Dienst nehmen lassen: ›Hier bin ich, sende mich!‹ Darum ist zu beten: dass GOTT Menschen in Seinen Weinberg sendet!

Die Kirche Jesu Christi ist doch kein verzichtbares Auslaufmodell, sondern im Gegenteil ein unverzichtbares Zukunftsmodell für Menschen, die mit Frohsinn und Ernst ihren Glauben in der Nachfolge Jesu ausleben und andere dazu einladen und gewinnen. Mission tut not (!)(vgl. GO Art. 2,3). Wo dies geschieht, da wird Gemeinde Christi attraktiv, da fangen andere an zu fragen nach dem Grund der Hoffnung, die in ihnen steckt (vgl. 1. Petr. 3,15). Um die gravierende ›Reduktion‹ wenigstens ansatzweise abzufedern und abzuschwächen, wird ›Transformation‹ bemüht und damit die Einrichtung von überparochialen Kooperationsräumen, von Dienstgruppen Hauptamtlicher (›professionelle Teams‹), von Gemeindeverbänden nach erfolgten (Zwangs-) Fusionen, von Verbandspfarreien. Diese Konstellation dürfte sich als äußerst kollisionsträchtig und als konfliktanfällig erweisen. Ein detaillierter Dienstplan muss her, der genau festhält und regelt, wer von den Pfarrern, Diakonen, Sekretärinnen usf. für welche Aufgaben zuständig und verantwortlich ist. Das erscheint zunächst auch gar nicht verkehrt zu sein. Aber — verwickelt sich Kirche auf diese Weise nicht zunehmend zur Service-Agentur, wenn kirchliche Mitarbeiter gabenorientiert je nach Neigung und Kompetenz eigene Schwerpunkte setzen, etwa in der Seelsorge oder im Konfirmandenunterricht? Wenn sie also im Sinne von Service innerhalb einer Region, gemeint: innerhalb eines Kooperationsraumes jeweils verbindlich festgelegte Dienst-leistungen anbieten (und dazu hinausfahren), die dann per Kirchengemeinderatsbeschluss im Einzelfall abgerufen werden können? Zersplittert oder zerfasert die Gemeinde denn nicht auf diese Weise? Wenn feste Bezugspersonen nun durch ›ein Heer‹ von verschie-denen Dienstleistern ersetzt werden sollen (was nun aber keine Abqualifikation der betreffenden Personen bedeuten will)? Wer überblickt und durchschaut, wer will solch ein ›System Kirche‹?

Die Sache der Kooperation an sich ist ja nicht neu — neu allerdings ist die Bezeichnung: ›Kooperationsräume‹ und (!): wenn es zu vertraglich verpflichtend-bindenden Verein-barungen kommen muss / wenn also von oben herab im Zuge der Hierarchisierung den Gemeinden aufoktroyiert wird, was zu tun und umzusetzen und hinzunehmen ist — statt vertrauensvoll offen zu halten, was sich an der Basis wie von selbst auftut und entwickelt. Der Landessynodal-Beschluss greift tief in die Gestaltungsfreiheit und in den Verantwortungsbereich der Gemeinden ein und stellt nicht zuletzt auch ihre rechtliche Position infrage als ›eigen-ständige Körperschaft des öffentlichen Rechts‹. Liegt in diesem Landessynodal-Beschluss nicht ein weiterer Schritt zur Entmündigung der Gemeinden? Was heißt da noch: »Kirche der Freiheit«?

Können Direktiven im Sinne der ›Top-Down-Strategie‹ mit dem erfrischenden Wirken des Heiligen Geistes ›kompatibel‹ sein? — Bestimmend und beherrschend sei die Gebetsbitte: ›Komm, Schöpfer Geist!‹

Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass sich Gemeinde Jesu Christi hierzulande in der Form der Parochie bewährt hat mit einem Pfarrer als Schlüsselfigur vor Ort im Pfarrhaus an der Spitze, der im Stil eines Generalisten wirkt und eben nicht im Stil eines reinen Spezialisten, der allein ein oder zwei Spezialgebiete abdeckt und ansonsten anderswo weilt.

Zeiten ändern sich, Menschen ändern sich, Kirche(ngemeinden) ebenso. Bei allem Wandel jedoch bedarf es auch der Konstitutiva, soll nicht alles in Fluss geraten, wegschwimmen und schlussendlich verloren gehen. Zu diesen Konstitutiva gehört wohl auch die Parochie mit ihrem Pfarrer in der Mitte als zentralem Ansprechpartner. Denn wie ein Schiff einen Kapitän braucht, ein Orchester einen Dirigenten, so braucht eine Gemeinde ihren Pfarrer, der nun aber nicht pfarrherren-zentriert agiert und selber alle Aufgaben übernimmt, sondern zu delegieren weiß und versteht.

Das entschiedene Plädoyer geht also dahin, (1) die Parochie zu stärken und den ›Pastor loci‹ — wobei im Sinn eines konstruktiven Miteinanders auch alle Möglichkeiten der übergemeindlichen Kooperation ausgelotet und ausgenutzt werden sollen, die sich bieten. (2) Das Erprobungsgesetz soll(te) seinen Pflichtcharakter zur verordneten Bildung von Kooperationsräumen verlieren, stattdessen alle Optionen für Kooperationen auf freiwilliger Basis unterstützen und die Selbständigkeit der Gemeinden fördern.

Erstveröffentlichung: ›Badische Pfarrvereinsblätter‹, Januar 2023, 34-37